Interview zum Jahresstart mit Detlef Küßner, Geschäftsführer der Close Brothers Factoring GmbH

Herr Küßner, das vergangene Jahr war alles andere als einfach. Wie haben sie die Marktsituation in 2022 wahrgenommen?

Da sich die Lieferkettenproblematik anfing zu entspannen und bezüglich der Corona-Pandemie die Zeichen ebenfalls auf Entspannung standen, waren wir vorsichtig optimistisch in das letzte Jahr gestartet. Wie wir alle wissen, war die Hoffnung jedoch leider trügerisch. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine explodierten die Gas- und Strompreise, und mit Chinas Zero-Covid-Strategie, die zum Teil ganze Städte und Produktionswerke lahmlegte, waren auch die Schwierigkeiten in den Lieferketten wieder da. Beides zusammen ließ erneut die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte stiegen. Bei den Rohstoffpreisen lag der Anstieg zum Teil 30 bis 40 Prozent höher als die Inflation in Deutschland.

Die Unsicherheiten und der gewachsene Margendruck, der für Unternehmen damit verbunden war, führte schließlich dazu, dass viele Banken vorsichtiger wurden und bei der Kreditvergabe höhere Ausfallrisiken und damit höhere Kosten einkalkulierten – auch bei gesunden Unternehmen. Die steigenden Risikoaufschläge und zuletzt auch noch die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank verteuerten die Darlehen, sodass sich viele Unternehmen verstärkt nach alternativen Finanzierungsformen wie dem Factoring umsahen.

Welche ihrer vielen Zielbranchen hatten nach Ihrer Beobachtung besonders stark mit den Entwicklungen zu kämpfen?

Unter den Preissteigerungen und dem Margendruck hatten natürlich auch einige unserer Kunden zu leiden, insbesondere aus der metallverarbeitenden Industrie, dem Druckgewerbe und dem Großhandel. Generell gelang es aber allen unseren Kunden, die in kritischer Weise von den Preissteigerungen betroffen waren, ihre höheren Kosten weiterzugeben. Die Notwendigkeit dafür war auch für deren Abnehmer offensichtlich.

Kunden aus anderen Branchen, auf die wir fokussiert sind, hatten dagegen weniger Probleme mit den Preissteigerungen im letzten Jahr, wie zum Beispiel Zeitarbeitsunternehmen. Letztere profitierten sogar davon, dass das Geschäft und damit der Personalbedarf in einigen von der Pandemie besonders gebeutelten Teilen der Wirtschaft, wie etwa dem Tourismus, dem Gastgewerbe und dem stationären Einzelhandel, nach den Rückgängen 2020 und 2021 wieder anzog.

Wie war die Entwicklung bei Close Brothers Factoring?

Wir sind letztlich gut durch das vergangene Jahr gekommen. Das Interesse an alternativen Finanzierungsformen und vor allem auch Formen der Liquiditätssteigerung wie dem Factoring führte zu einem deutlichen Anstieg von Anfragen potenzieller Neukunden, aber auch unserer Bestandskunden. Insgesamt konnten wir unser Geschäft mit Bestandskunden um mehr als 20 Prozent ausbauen.

Factoring ist für viele Unternehmen eine vorteilhafte Finanzierungform, insbesondere bei wachsenden oder zumindest gleichbleibenden Umsätzen. Zum einen können Unternehmen durch den regelmäßigen Verkauf von Forderungen an einen Dienstleister wie uns unkompliziert und zuverlässig ihre Liquidität sichern und die Eigenkapitalquote auf einem guten Niveau halten. Zum anderen lassen sich durch die regelmäßigen, planbaren Zahlungseingänge größere Warenmengen mit kürzeren Zahlungszielen und damit zu besseren Konditionen erwerben. Das schafft einen Wettbewerbsvorteil und wirkt sich sogar positiv auf die Bonitätsbeurteilung der Banken aus.

Als Drittes bekommen Unternehmen ein weiteres, oft entscheidendes Verkaufsargument an die Hand: Da der Factoring-Dienstleister alle Forderungen direkt und zeitnah begleicht, können sie ihren Abnehmern längere Zahlungsziele einzuräumen.

Was waren die größten Herausforderungen, denen Sie sich im letzten Jahr stellen mussten?

Gerade auch in unserer Branche ist der Fachkräftemangel sehr groß, sodass sich bei Bedarf nicht immer sofort neues Personal finden lässt. Unsere größte Herausforderung bestand in den letzten Monaten daher darin, den steigenden Arbeitsaufwand, der sich durch die verstärkte Nachfrage und das Neugeschäft ergab, mit dem bestehenden Team zu bewältigen. Geholfen hat uns am Ende der hohe Digitalisierungsgrad, den wir im operativen Bereich auch wegen einer maßgeschneiderten Software haben. Das hat den Mehraufwand bei vielen Aufgaben relativ niedrig gehalten, so dass sich unsere Mitarbeiter auf die Belange unserer Kunden konzentrieren konnten. Zugute kam uns außerdem unser hoch motiviertes und kompetentes Team, in dem alle mitmachen und sich alle gegenseitig unterstützen.

Finanziell haben wir die besten Voraussetzungen, um durch solche harten Zeiten zu kommen. Unsere Eigenkapitalquote liegt bei etwa 30 Prozent. Dazu haben wir mit Close Brothers plc., der größten unabhängigen Handelsbank Großbritanniens, einen starken Gesellschafter im Hintergrund, der uns quasi unbegrenzt Mittel zur Verfügung stellen kann. Unser Geschäftsmodell schließlich ist nachhaltig gestaltet, das heißt, wir planen nicht nur auf Basis guter Zeiten. Dadurch müssen wir nicht – wie andere Anbieter – gerade dann die Preise oder Sperrsätze erhöhen oder sogar aussteigen, wenn es ohnehin schwierig ist für einen Kunden. Das wissen unsere Kunden gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen sehr zu schätzen.

Was erwarten Sie mit Blick auf den Markt für 2023?

Trotz der Erfahrungen in 2022 sind wir auch diesmal wieder leicht optimistisch. Deutschland ist nicht mehr abhängig von russischem Gas, die Gaspreise sind in den letzten Wochen deutlich gesunken und China hat seine Null-Covid-Strategie aufgegebenen. Auch haben sich die Geschäftserwartungen in der deutschen Industrie zuletzt verbessert, die Stimmung in fast allen Wirtschaftsbereichen hat sich im Dezember deutlich aufgehellt. Das spricht dafür, dass sich einige Entwicklungen in den nächsten Monaten stabilisieren, auch wenn die Unsicherheiten insgesamt natürlich nach wie vor sehr groß sind.

Mit Blick auf die Unternehmensfinanzierung erwarte ich allerdings, dass der Margendruck insgesamt weiter hoch und die Profitabilität bei vielen Unternehmen niedrig bleiben wird. Für Betriebe, die sich in den letzten Jahren stark verschuldet oder Corona-Hilfen in Anspruch genommen haben, kann eine sehr schwierige Situation entstehen bis hin zur Insolvenz. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sieht in jedem Fall Frühindikatoren, die auf einen weiteren leichten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen hindeuten. Entsprechend werden Darlehenshürden und Darlehenskosten weiter steigen und damit auch das Interesse an alternativen Finanzierungsformen.

Was bedeutet diese Entwicklung für Sie?

Wir stellen uns auf eine hoch bleibende Nachfrage nach unserer Dienstleistung ein. In Bezug auf unser Personal wird unser Fokus weiter darauf liegen, unsere kompetenten Fachkräfte zu halten. Denn dass der der Mensch im Mittelpunkt steht, ist bei uns nicht nur Lippenbekenntnis, sondern gelebte Praxis. Ein vertrauensvolles Arbeitsklima mit flachen Hierarchien, gegenseitige Unterstützung sowie Verständnis und Hilfe bei privaten Herausforderungen sind bei uns selbstverständlich. Und auch finanziell sorgen wir dafür, dass es passt. So haben wir die Gehälter gerade inflationsbedingt angepasst – insbesondere in den unteren Einkommensbereichen.

Beim Neugeschäft werden wir auch weiterhin darauf schauen, dass potenzielle Kunden mit einem tragfähigen Geschäftsmodell in einem soliden Markt agieren. Oder anders gesagt: Die Bonität ist nicht entscheidend, solange das Grundgeschäft im Kern gesund ist und die Forderungen in Ordnung sind. Für andere Unternehmen, deren Umsätze auf absehbare Zeit sinken oder die sogar vor tiefgreifenden Herausforderungen stehen, eignet sich Factoring dagegen eher weniger. Hier sind oft andere Wege sinnvoller, wie etwa die Hebung von Einsparpotenzialen, die Finanzierung durch Verkauf von Anlagevermögen oder die Suche nach neuen Investoren.

Was sind Ihre wichtigsten persönlichen Wünsche für Ihre Kunden und Ihr Team in 2023?

Der wichtigste Wunsch ist selbstverständlich, dass alle gesund durch das Jahr kommen. Und natürlich wünsche ich jeder und jedem jene schönen Momente im Privat- und Berufsleben, die nötig sind, um am Jahresende insgesamt glücklich auf 2023 zurückblicken zu können.